Gift im Atelier –
Künstler und ihre Arbeitswelt


Zu diesem Buch

Das Sammeln zeitgenössischer Kunst über Jahrzehnte bedeutet für mich auch das häufige Zusammentreffen mit ihren Urhebern in ihren Ateliers, auf Messen und Ausstellungen. Dabei sehe ich auch, mit welchen Materialien Künstler heute arbeiten. Während die klassischen Werkstoffe und Künstlerutensilien wie z. B. Farbe, Pinsel, Leinwand, Papier, Tusche, Bleistift, Holz, Ton, Stein oder Gips waren, arbeiten Künstler heute mehr als früher auch mit fast allem, was sie so vorfinden: Draht, Textil- oder Matratzenreste, Abfälle aus der Metallverarbeitung, Teile von Reifen oder Glühbirnen, Schaumstoffe aller Art, Lacke und Gießharze, Materialreste aus der verarbeitenden Industrie wie Altmetall, Gefundenes aus Wald, Flur oder Sperrmüll.

Dabei setzen sich fast alle Künstler zwangsläufig Schadund Giftstoffen aus, meist auch ohne dies selbst zu wissen oder zu bemerken, wie ich dies aus meiner eigenen Praxis in der langjährigen Behandlung und Begleitung von Künstler-Patienten kenne. Während Arbeitnehmer in Industrie und verarbeitendem Gewerbe oder auch in Landund Forstwirtschaft durch Vorschriften der verschiedenen Berufsgenossenschaften geschützt sind, indem die Einhaltung von maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen bestimmter Stoffe vorgeschrieben ist (niedergelegt in den regelmäßg aktualisierten MAK-Listen, Gefahrstoff- und Arbeitsschutzverordnungen u. a.), bleibt ein freier Künstler meist ahnungslos. Von Schadstoffen hört er allenfalls durch Presseberichte, wenn mal wieder mit Weichmachern kontaminierter Käse oder PCB-Spielzeug aus China gefunden wurden.

Als der österreichische Bildhauer Bruno Gironcoli 2010 im Alter von 74 Jahren starb, hieß es, daß die Materialien, mit denen er arbeitete, seiner Gesundheit schwer zugesetzt hätten. Und Niki de St. Phalle starb 2002 im Alter von 71 Jahren an den Folgen schwerer Schäden der Atemwege, die sie sich nach jahrzehntelanger Arbeit mit giftigen Dämpfen, die bei der Verarbeitung von Kunststoffen entstehen, zugezogen hatte.

Dieses Buch wendet sich deshalb an alle Betroffene: Kunststudenten, Professionelle, "Nebenberufliche" oder Hobby-Künstler, denn die Problematik ist für alle dieselbe, wenngleich oft in unterschiedlicher Intensität.

In Anbetracht dessen, daß weltweit täglich viele tausend neue chemische Verbindungen in die Umwelt entlassen werden, ist eine tagesaktuelle Betrachtung nicht möglich. Es soll hier vielmehr um toxikologische Grundlagen gehen, um Vorkommen und Beschreibung der häufigsten Schadstoffe, um die Gefahr speziell für künstlerisch Tätige aufzuzeigen und natürlich auch um Prävention, Prophylaxe, Diagnostik und Therapie.


Gabriele Baier-Jagodzinski, August 2011