Kleine Geschichte der
Toxikologie

 

Die "Lehre von den Giften" (= Toxikologie) bildete sich im 17. Jahrhundert. Allerdings wissen wir bereits von den Urmenschen, daß sie Heilmittel wie z. B. Kräuter benutzten, um sich von Schlangenbissen und anderen Giften zu kurieren. Vor über 3000 Jahren war in China bereits die Giftwirkung von Arsen, Opium oder Eisenhut bekannt und 1500 v. Chr. fand sich im berühmten "Ebers- Papyros" die Beschreibung der Giftwirkung des Crocus sativus, der übrigens bis heute den teuren Safran für die Edel-Küche liefert. 1400 v. Chr. war den Griechen schon die Wirkung von Opium bekannt, das sie durch Anritzen der Mohnkapsel gewannen, wie eine bei Heraklion gefundene Skulptur belegt. Diese zeigt ein mit angeritzten Mohnkapseln geschmücktes Frauengesicht in Trance. Sokrates (470-399 v. Chr.) wurde von den Athenern wegen Gottlosigkeit zum Gifttod durch Trinken des Schirlingsbechers (Conium maculatum) zum Tode verurteilt und der römische Arzt Dioskurides (ca. 40-90 n. Chr.) beschreibt in seinem Werk "De materia medica" (60 n. Chr.) die toxische Wirkung von Mandragora (deutsch: Alraune), die wegen ihres Atropingehalts in der Antike als Narkotikum verwendet wurde, aber auch als "Liebespflanze" galt. Plinius d. Ä. (23-79 n. Chr.) und Galen (129-199 n. Chr.) erwähnen in ihren Arbeiten die Giftwirkungen von Opium, Schirling, Bilsenkraut und Quecksilber.

Spätestens im 15. Jahrhundert etablierte sich dann die forensische Toxikologie. Sie gilt bis heute der Aufklärung von Verbrechen am Menschen (Giftmorde). Dazu gehörte der Nachweis von Giften, der damals nur durch Obduktionen zu erbringen war mit den entsprechend unklaren Ergebnissen. Seit dem Altertum aber waren Obduktionen aus unterschiedlichen, religiösen wie mystischen Gründen verboten und wurden erst von der katholischen Kirche erlaubt. Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493-1541), besser bekannt als Paracelsus, gilt als erster Heilkundiger mit naturwissenschaftlichem Denkansatz, der die Lehre von den Giften in die Medizin einbezog. Daraus entwickelte er das bis heute gültige Paradigma von der Dosis, die allein das Gift mache (dosis sola facit venenum).

Georg Bauer (1494-1555), der sich der damals üblichen Latinisierung von Namen bediente und deshalb Georgius Agricola (heute einfach Agricola) genannt wurde, beschrieb 1556 die Toxikologie der Bleivergiftung und deren Prävention. Durch die bergbaumäßige Gewinnung von Blei waren Bleivergiftungen bereits 3000 v. Chr. den Ägyptern und anderen Mittelmeervölkern bekannt. Man kann sagen, daß man die Bleivergiftung die älteste Berufskrankheit nennen kann.

In der Folgezeit erlaubten neue Methoden genauere Experimente, die wissenschaftlichen Betrachtungsweisen zum Durchbruch verhalfen. Analytik und Chemie wurden zu tragenden Säulen der Toxikologie. Dazu gehört besonders James Marsh (1794-1846), der 1832 bei einem Giftmordprozeß in England mithilfe eines von ihm konstruierten Apparats ("Marsh-Apparat") erstmals eine Arsenvergiftung nachwies. Arsen war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zur Schädlingsbekämpfung praktisch in jedem Haushalt vorhanden und somit für Giftmorde leicht verfügbar. Es gehört bis heute wegen seiner hohen Toxizität zu den klassischen Giften, insbesondere der Kriminalgeschichte.

In der weiteren Folge wurde von Justus Liebig (1803- 1873), der nicht nur den bekannten "Liebigs Fleischextrakt", sondern u. a. das Anästhetikum Chloroform erfand, die Bedeutung von Ursachen- und Wirkungsforschung in der Toxikologie erkannt. 1847 führte Rudolf Buchheim (1820-1879) Tierversuche in der Medizinforschung ein, Max v. Pettenkofer (1818-1901) erforschte die Wirkung von Gasen und beschrieb erstmals Grenzwerte, die er "Erträglichkeitswerte" nannte. Louis Levin (1850-1929) beschäftigte sich u. a. mit der Verhinderung von gewerblichen Vergiftungen. Gewissermaßen als Vorläufer der heutigen Berufsgenossenschaften gilt er als Begründer des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Marie Curie (1867-1934) erforschte ionisierende Strahlung. Sie und weitere Wissenschaftler bezahlten ihre Forschungen mit dem Leben.

Erst 1960 entstanden an deutschen Universitäten eigenständige Institute für Toxikologie. Wir haben es also mit einer relativ jungen Wissenschaft zu tun. Und Ärzte haben in der Regel bis heute keine speziellen Kenntnise auf diesem Gebiet, weil es im Medizinstudium nur im Zusammenhang mit dem Fach Pharmakologie, das seinerseits nur marginal behandelt wird, vorkommt. Seit 1992 gibt es für bereits approbierte Ärzte aber die Möglichkeit zur Weiterbildung, um die Zusatzbezeichnung "Umweltmedizin" führen zu können. Dazu müssen von ihnen insgesamt 200 Stunden in 24 Monaten abgeleistet werden, was angesichts des doch sehr schwierigen und komplexen Themas nicht gerade viel ist.