Warum dieses Buch ?

Jahrzehntelange Therapiepraxis an meist schwerkranken Patienten, die Arbeit in einem Kollegenteam, das sich mit biochemischen und hier besonders pharmakologischen und ernährungsphysiologischen Fragen beschäftigte, brachten mich schon früh zur Orthomolekularen Medizin. Außerdem waren meine Lehr-und Fortbildungsveranstaltungen vor Studenten, Kollegen oder Apothekern gleichzeitig für mich der wichtigste Erfahrungsaustausch. So entstanden Nachfragen nach Seminaren aus ihrem Kreis oder auch ihrer Patienten von überall her. Ihre Fragen und Anregungen habe ich während meiner bisweilen langen Bahnfahrten notiert, geordnet und zusammengefaßt. Immer deutlicher wurde, daß die Orthomolekulare Medizin nicht losgelöst von unserer Ernährungsweise, unserem Lebensstil, unserem Alltag begriffen werden kann, wobei der individuelle Lebensstil jedoch niemals eine statistisch verwertbare Größe in auf die Allgemeinheit bezogene Berechnungen und Aussagen ist. Das erschwert das Verständnis für die Materie deshalb, weil in der "etablierten" Medizin inwischen ein fast blindes – aber oft nicht gerechtfertigtes – Vertrauen in die dort für unverzichtbar gehaltenen "Studien" herrscht, die Begründung und Grundlage jeder diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme sind.

Es entstand somit ein Buch, das nicht nur eine äußerst erfolgversprechende – und dazu schonende – Medizin beschreibt, sondern versucht, gleichzeitig viele Fragenkomplexe, die sich um diese Materie herum fast zwangsläufig ergeben, anzusprechen und – vielleicht – zu klären. Wegen der Fülle des Stoffs wird die Anwendung der Orthomolekularen Medizin, also Indikation, Stoffgruppen und Dosierungen in einem Folgeband beschrieben werden.

Auf die sonst immer anzutreffenden Kurven-, Torten-, Säulen-und 3-D-Grafiken habe ich verzichtet, weil mit ihnen alles "bewiesen" werden kann, es kommt nur auf den Ausschnitt der Kurve, auf ihre Streckung oder Stauchung an und schon entsteht ein optischer Eindruck von "Tatsachen", der oft dem wirklichen Befund nicht entspricht. Auch Fußnoten stören die Lesbarkeit und imponieren höchstens schreibende Kollegen. Vieles wird heute in Fußnoten gepackt, was eigentlich zum Fundus der Allgemeinbildung gehörte und die hat Fußnoten nicht nötig. In angelsächsischen Ländern scheuen sich Wissenschaftler nicht, verständlich, unterhaltsam und oft auch humorvoll ihr Sujet darzustellen, ohne daß dies an wissenschaftlichem Gehalt einbüßte.

Um sich überhaupt einem Gebiet öffnen zu können, das (noch) kein universitäres Lehrfach ist, bedarf es immer einer "Initialzündung". Mein Lehrer Gerhard Ohlenschläger vom Gustav-Embden-Zentrum der Biologischen Chemie der Universitätsklinik Frankfurt/M. weckte in uns jene Begeisterung, die für die Hinwendung zu einer leider bis heute "unkonventionell" gebliebenen Heilmethode wichtig ist. Wahrscheinlich gelang ihm dies, weil sein eigener Lebenslauf überaus facettenreich ist. Ihm verdanken wir das Goethe-Zitat "Mit dem Wissen wachsen die Zweifel", welches seitdem als Motto über meinem Schreibtisch hängt. Ohlenschläger studierte nicht nur Philosophie (Horkheimer, Adorno), er verdiente sich nicht nur in den kargen Nachkriegsjahren sein Studiengeld in der biochemischen Forschung oder als Barpianist (u. a. mit Paul Kuhn), sondern sammelte im zertrümmerten Frankfurt in allen Kliniken praktische Erfahrungen in sämtlichen Fachrichtungen, lehrte und forschte als Internist und Biochemiker über die "Biophysik und Biochemie Freier Radikale", die "Quantenchemie Freier Radikale", zur biologischen Krebsforschung oder über "Grenzgebiete zwischen Biochemie, Biophysik und Medizin". Von ihm stammen viele hundert Fachpublikationen und Monographien, 1970 erschien seine Habilitationsschrift über neue Molekuklarsieb-Elektrophoresemethoden. Die Erforschung und Validierung des Glutathionsystems brachten ihm Ehrungen und Preise. Sein beeindruckendes übergreifendes Fachwissen, gepaart mit lebhaftem, anschaulichen Ausdruck und authentischer Präsenz erleichterten uns so auch den Zugang zum nicht ganz einfachen Gebiet der Orthomolekularen Medizin, das uns sonst womöglich verschlossen geblieben wäre. Seine Schüler, denen man bis heute ihren Herkunftskontext, vulgo "Stall", anmerkt, sind ihm dafür sehr dankbar. Und natürlich auch für die vielen gemeinsamen Musizierstunden.

Karl Popper: "Alle Theorien sind Hypothesen, alle können umgestoßen werden. Das Spiel der Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende. Wer eines Tages beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, sondern sie etwa als endgültig verifiziert zu betrachten, der tritt aus dem Spiel aus."

Pirmasens, Dezember 2007